Ziele

Rationale Entscheide sind nur möglich bei Klarheit über die mit ihnen verfolgten Ziele, die verfügbaren Alternativen, die anzuwendenden Bewertungskriterien und -prozesse sowie die verfügbaren Informationen.

Ziele von Health Technology Assessments (HTAs) in der Schweiz

HTA in der Schweiz soll vor allem zwei übergeordneten Zielen dienen, nämlich der

  1. umfassenden systematischen vergleichenden Evaluation des individuellen und sozialen Nutzens, der Kostenfolgen und der Kosten-Nutzen-Relation von "medizinischen Technologien";

  2. Bewirtschaftung des Leistungskatalogs der OKP.

Von HTA wird ein nützlicher Beitrag erwartet zur Effizienzsteigerung (zum Beispiel durch eine Elimination unwirksamer und/oder unwirtschaftlicher Leistungen) und zur Qualitätsverbesserung der Gesundheitsversorgung (zum Beispiel mittels der Entwicklung von auf HTA-Ergebnissen basierenden verbindlichen evidenzbasierten Anwendungsleitlinien) im Rahmen der OKP.

Die Grenzen des Projekts (Schnittstellen des HTA-Prozesses) ergeben sich einerseits aus der Voraussetzung der Verkehrsfähigkeit einer Technologie, vielfach also einer vorangegangen heilmittelrechtlichen Zulassung (die Tätigkeit von swissmedic ist nicht Gegenstand des vorliegenden Projekts).

Andererseits sollen HTAs hilfreiche Informationen für daran anknüpfende Entscheide für den sachgerechten Einsatz der evaluierten Technologien bieten; die Entscheide selbst verbleiben aber in der Zuständigkeit des BAG.

HTA als Entscheidhilfe („Decision Support“)

HTAs sollen eine zielkonforme Unterstützung von Entscheiden für eine den WZW-Kriterien gerecht werdende Gesundheitsversorgung im Rahmen der OKP bieten:

  1. Erstattungs- und Preisentscheide im Rahmen der Bestimmung des Leistungskatalogs der OKP (beispielsweise Höchstpreise für Arzneimittel ("Spezialitätenliste") und Analysen („Analysenliste“) bzw. Höchstvergütungsbeträge beispielsweise für Mittel und Gegenstände (MiGeL), usw.);
  2. regelmässige Überprüfungen des Leistungskatalogs auf Konformität mit den WZW-Kriterien (Wirksamkeit / Zweckmässigkeit / Wirtschaftlichkeit);
  3. Identifikation von Forschungsbedarf: sachgerechte Schliessung von Evidenzlücken;
  4. gerechter Zugang zu einer effektiven und effizienten medizinischen Versorgung auf hohem Qualitätsniveau.

Orientierung an zentralen Zielen einer solidarischen Gesundheitsversorgung

Mit dem Solidaritätsprinzip konkurrierende Ziele (insbesondere die nachhaltige Finanzierbarkeit und der Wunsch der Stimmbürger auf Begrenzung von Steuern und Versicherungsbeiträgen; die ökonomischen Korrelate dessen sind die elementaren Konzepte von "Knappheit" und "Opportunitätskosten") erfordern die Setzung von Prioritäten bei der Definition des Leistungskatalogs der OKP.

In diesem Rahmen wird folgende Zielhierarchie berücksichtigt:

1. Primäres normatives Postulat:
Vorrangige Orientierung an einem Rechte-basierten Konzept von Personalität, Integrität und Autonomie des Individuums und einem Verständnis von Gesundheit als einem "konditionalen Gut", ohne ein Minimum dessen eine Realisierung selbstbestimmter Lebensentwürfe nicht möglich ist ("Ermöglichungscharakter" von Gesundheit), im Sinne der Schweizer Rechtstradition (vgl. insbesondere Bundesverfassung, Grundsatz der Rechtsgleichheit, Schutz der Kinder und Jugendlichen, Recht auf Hilfe in Notlagen und weitere Normen), welche nahelegt, von primär utilitaristischen Ansätzen abzusehen und die vielmehr in erheblichem Masse vom Solidaritätsgedanken geprägt ist;

2. Erwartungen der Versicherten (soziale Präferenzen)
im Sinne des Konzepts einer „empirischen Ethik“: Mit Blick auf die vorstehende normative Prämisse und angesichts vorhandener Schweizer Untersuchungen und Surveys sowie internationaler wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Studien werden – im Sinne einer Ausgangshypothese – die nachstehenden sozialen Präferenzen postuliert.

  • Vorrang für Interventionen bei besonders akuten und/oder besonders schweren Gesundheitsstörungen (Kriterium der Dringlichkeit und des Schweregrads)
  • besondere Berücksichtigung von Interventionen für junge Menschen (die noch keine Chance hatten, ihre individuellen Lebensentwürfe in Autonomie zu verwirklichen; Kriterium der „Fair Innings)
  • faire Chance auf Zugang zu wirksamer medizinischer Versorgung auch bei Seltenheit einer Gesundheitsstörung und/oder hohen Kosten einer Intervention (Kriterium der Fairness),
  • Nachrangigkeit von Interventionen für nur geringfügige Gesundheitsstörungen und / oder bei Zumutbarkeit der Eigenfinanzierung durch die Versicherten (Kriterium der "Bagatellen"),
  • möglichst unbehinderter allgemeiner und rascher Zugang zu neuen Interventionen, die einen belegbaren Mehrnutzen bieten (Kriterium der Innovationen).

Hierzu besteht ausdrücklich weiterer Forschungsbedarf (hinsichtlich Validierung, Rangfolge und relativem Gewicht der Kriterien“).  Die Operationalisierung dieser Zielvorgaben erfolgt mittels Konkretisierung der WZW-Kriterien:

Konkretisierung der WZW-Kriterien des KVG

Das Schweizer Krankenversicherungsgesetz (KVG) verlangt den Nachweis von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) und deren periodische Überprüfung für alle Leistungen in der Grundversicherung.

Mit den WZW-Kriterien werden damit Ziele vorgegeben, deren Erreichung durch HTAs unterstützt werden soll. Um sowohl zentralen normativen Prämissen als auch den Erwartungen der Versicherten zu entsprechen, werden die WZW-Kriterien anhand der nachstehenden Massgaben konkretisiert:

1. Wirksamkeit

  • Ausgangspunkt (1): Relevanter Mehrnutzen (stets) im Vergleich zu relevanten Alternativen; Grad des Vertrauens in die vorliegende Evidenz
  • Ausgangspunkt (2): Berücksichtigung der besten verfügbaren Evidenz, deren Relevanz für die Schweizer Versorgungsrealität gegeben sein soll

2. Zweckmässigkeit (Zweck- bzw. Zieldienlichkeit)

  • Ausgangspunkt (3): Primäres normatives Postulat im Sinne der Schweizer Rechtstradition
  • Ausgangspunkt (4): Empirisch nachweisbare "soziale Präferenzen" der Versicherten

3. Wirtschaftlichkeit

  • Ausgangspunkt (5): Kostenfolgen
  • Ausgangspunkt (6): Effizienz; Relation von (Mehr-)Nutzen zu (Mehr-)Kosten

Die zugrunde liegende Systematik besteht in der logischen Zuordnung der individuellen Nutzenperspektive zu (1), der sozialen Nutzenperspektive zu (2) und der Kostenperspektive zu (3).

Diese Systematik ist eine wesentliche Voraussetzung für eine bruchlose Weiterentwicklungsmöglichkeit der Methodik mit Blick auf mögliche zukünftige gesundheitsökonomisch begründete Grenzsetzungen.